Mittwoch, 18. April 2012

Es ist nicht alles Gold, was glänzt.


Indisches Geplapper, dass durch den gesamten Bus hallte, weckte mich aus einem Halbschlaf, in den ich mich flüchtete, als mir die Tränen in die Augen schossen. Der Wind peitschte erst einzelne Regentropfen und dann ganze Meere an die Glasscheibe neben mir und ließ dabei einen Klang entstehen, der mich an unser altes Haus erinnerte. Immer, wenn es dort regnete musste ich die Tür schließen, um schlafen zu können, weil das Schrägfenster im Flur freiwillig als Schlagzeug fungierte.
Als ich ausstieg hörte ich La Chute, Yann Tiersen. Warum war er diesmal nicht da gewesen? Mir liefen Tränen über die Wangen. Ich wischte sie hastig weg und trat einen Stein so fest gegen eine Mauer, dass er zersprang. Ich hatte noch nicht nach Hause gehen wollen, also setzte ich mich in den Park auf die Bank, auf der ich immer saß. Das Holz war nass und ich hörte Nuvole Blanche, Ludovico Einaudi. Würden wir uns je sehen und, würden wir uns mögen? Ein schlaksiger, alter Mann kam auf mich zugehumpelt und suchte dabei etwas in seinen Jackentaschen, sein Blick verriet mir, dass er getrunken hatte und später würde ich es auch riechen können. Ich hätte vermutlich Angst haben sollen, schließlich war es schon recht spät und hier war niemand außer mir. Stattdessen lächelte ich ihn unsicher an und hielt ihm mein Feuerzug hin, nachdem er mit seinem Daumen eine Klickbewegung angedeutet, seine Schultern hochgezogen und mich mit seinen tief dunkel umgebenen Augen erwartungsvoll angesehen hatte.
Ich riss einen Grashalm ab, dass in der Höhe meines Knies wehte und wickelte es ein paar mal um meinen Zeigefinger. Meine Glückszahl war fünf, also riss ich fünf mal ein Stück ab und warf es in den See, an dessen Ufer ich nun hockte. 'Er liebt mich, er liebt mich nicht', am Ende prophezeite mir der Butterblumen-Grashalm, dass er mich nicht liebte. Aber damit überraschte er weder mich, noch das Wasser, dass undankbare, krakelige und zahllose Kreise zug, als Stücke des Halms theatralisch in ihm versickerten.
Fragen, die in schweren Bleibuchstaben erneut Löcher auf imaginäres Pergament zu fressen schienen, quälten mich. Als ich zusammengekauert, ein Kissen umarmend auf dem Bettkasten an die Wand gelehnt saß und es langsam mascaraschwarz färbte, begann ich zu zittern und mir vorzustellen, was er gerade dachte. Dachte er überhaupt an mich? Manchmal? Requiem for a dream kam mir lächerlich vor. Ich schaltete weiter, The Heart asks for Pleasure first, Michael Nyman. Ich sickerte allmählich in den Schlaf.

Wir standen am Rheinufer, seine Hand hielt meine fest, ich hielt seine fester. Er bat mich, nicht mehr loszulassen und ich sagte, er solle nicht albern werden. Es war Frühling. Nachdem wir beide einen langen und verträumten Blick auf den von der Sonne geliebten Rhein warfen, küsste er mich auf die Stirn und ich vergrub meinen Kopf unter seinem Kinn. Er legte die Arme um mich und ich begann zu weinen, ich weiß nicht mehr, was ich ihn fragte, aber er sagte er habe Angst. Er legte einen Daumen auf meine Schläfe, die Hand seitlich an meinem Kopf, bewegte seinen auf meinen zu, ich schloß die Augen.
Ich hatte diesen Traum oft geträumt, aber nie erinnerte ich mich, was ich gesagt hatte.

Nach einer Weile beschloss ich aufzustehen und zu zeichnen, nachdem ich wach wurde. Schlafen können hatte ich danach eh selten. Ich war froh, als ich das zuvor leere, gebrochen weiße Blatt langsam mit Struktur und Geschichte füllen konnte. Das Gras, das knöchelhoch wehend ständig meine Haut streifte, die tiefstehende Sonne, die sich und alles, was sich ihr unterwarf orange und rosarot färbte und die Gegend, die viel zu friedlich schien, um einst die dritte Hauptrolle in einem Albtraum spielen zu müssen. Ich hatte mein Lieblingskleid getragen, meine Haare wehten im Wind und meine linker Fuß hatte sich unsicher vor meinen rechten gedrängt. Selbst die Reflektion der Sonne auf dem Wasser war mir gut gelungen und wer mich kannte wusste, das hatte lange gedauert. Wusste ich, dass ich das Bild nie fertig stellen würde? Dort, wo ein großgewachsener, junger Mann hätte seinen Platz finden sollen, klaffte bis heute eine leere Stelle, die wie radiert schien, sodass sie sich in den Vordergrund drängte, bis sie das Auffälligste, das Wichtigste des Bildes wurde.

11/4/12



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