Indisches Geplapper, dass durch den
gesamten Bus hallte, weckte mich aus einem Halbschlaf, in den ich mich
flüchtete, als mir die Tränen in die Augen schossen. Der Wind
peitschte erst einzelne Regentropfen und dann ganze Meere an die
Glasscheibe neben mir und ließ dabei einen Klang entstehen, der mich
an unser altes Haus erinnerte. Immer, wenn es dort regnete musste ich
die Tür schließen, um schlafen zu können, weil das Schrägfenster
im Flur freiwillig als Schlagzeug fungierte.
Als ich ausstieg hörte ich La Chute,
Yann Tiersen. Warum war er diesmal nicht da gewesen? Mir liefen
Tränen über die Wangen. Ich wischte sie hastig weg und trat einen
Stein so fest gegen eine Mauer, dass er zersprang. Ich hatte noch
nicht nach Hause gehen wollen, also setzte ich mich in den Park auf
die Bank, auf der ich immer saß. Das Holz war nass und ich hörte
Nuvole Blanche, Ludovico Einaudi. Würden wir uns je sehen und,
würden wir uns mögen? Ein schlaksiger, alter Mann kam auf mich
zugehumpelt und suchte dabei etwas in seinen Jackentaschen, sein Blick
verriet mir, dass er getrunken hatte und später würde ich es auch
riechen können. Ich hätte vermutlich Angst haben sollen,
schließlich war es schon recht spät und hier war niemand außer
mir. Stattdessen lächelte ich ihn unsicher an und hielt ihm mein
Feuerzug hin, nachdem er mit seinem Daumen eine Klickbewegung
angedeutet, seine Schultern hochgezogen und mich mit seinen tief
dunkel umgebenen Augen erwartungsvoll angesehen hatte.
Ich riss einen Grashalm ab, dass in der
Höhe meines Knies wehte und wickelte es ein paar mal um meinen
Zeigefinger. Meine Glückszahl war fünf, also riss ich fünf mal ein
Stück ab und warf es in den See, an dessen Ufer ich nun hockte. 'Er
liebt mich, er liebt mich nicht', am Ende prophezeite mir der
Butterblumen-Grashalm, dass er mich nicht liebte. Aber damit
überraschte er weder mich, noch das Wasser, dass undankbare,
krakelige und zahllose Kreise zug, als Stücke des Halms theatralisch
in ihm versickerten.
Fragen, die in schweren Bleibuchstaben
erneut Löcher auf imaginäres Pergament zu fressen schienen, quälten
mich. Als ich zusammengekauert, ein Kissen umarmend auf dem
Bettkasten an die Wand gelehnt saß und es langsam mascaraschwarz
färbte, begann ich zu zittern und mir vorzustellen, was er gerade
dachte. Dachte er überhaupt an mich? Manchmal? Requiem for a dream
kam mir lächerlich vor. Ich schaltete weiter, The Heart asks for
Pleasure first, Michael Nyman. Ich sickerte allmählich in den
Schlaf.
Wir standen am Rheinufer, seine Hand
hielt meine fest, ich hielt seine fester. Er bat mich, nicht mehr
loszulassen und ich sagte, er solle nicht albern werden. Es war
Frühling. Nachdem wir beide einen langen und verträumten Blick auf
den von der Sonne geliebten Rhein warfen, küsste er mich auf die
Stirn und ich vergrub meinen Kopf unter seinem Kinn. Er legte die
Arme um mich und ich begann zu weinen, ich weiß nicht mehr, was ich
ihn fragte, aber er sagte er habe Angst. Er legte einen Daumen auf
meine Schläfe, die Hand seitlich an meinem Kopf, bewegte seinen auf
meinen zu, ich schloß die Augen.
Ich hatte diesen Traum oft
geträumt, aber nie erinnerte ich mich, was ich gesagt hatte.
Nach einer Weile beschloss ich aufzustehen und zu zeichnen, nachdem ich wach wurde. Schlafen können hatte ich danach eh selten. Ich war froh, als ich das zuvor leere, gebrochen weiße Blatt langsam mit Struktur und Geschichte füllen konnte. Das Gras, das knöchelhoch wehend ständig meine Haut streifte, die tiefstehende Sonne, die sich und alles, was sich ihr unterwarf orange und rosarot färbte und die Gegend, die viel zu friedlich schien, um einst die dritte Hauptrolle in einem Albtraum spielen zu müssen. Ich hatte mein Lieblingskleid getragen, meine Haare wehten im Wind und meine linker Fuß hatte sich unsicher vor meinen rechten gedrängt. Selbst die Reflektion der Sonne auf dem Wasser war mir gut gelungen und wer mich kannte wusste, das hatte lange gedauert. Wusste ich, dass ich das Bild nie fertig stellen würde? Dort, wo ein großgewachsener, junger Mann hätte seinen Platz finden sollen, klaffte bis heute eine leere Stelle, die wie radiert schien, sodass sie sich in den Vordergrund drängte, bis sie das Auffälligste, das Wichtigste des Bildes wurde.
11/4/12